Lichtblick

 

15 Sonnenstunden bisher in diesem Dezember, das entspricht 39% vom langjährigen Mittel. Soweit die Statistik. Nach meinem Gefühl ist es in diesem Dezember überhaupt noch nicht hell geworden. Trübsal ergreift Besitz von mir. Ein Blick auf die Wetterkarte mit den Aussichten für Montag, den 20. Dezember lässt mich aufhorchen – die Vorhersage verspricht stunden-langen Sonnenschein. Endlich der ersehnte Lichtblick und ich bin entschlossen, ihn zu genießen. Der Himmel über Ilsenburg ist wolkenlos und die Sonne noch hinter den Bergen verborgen, als ich um kurz nach acht Uhr am fast leeren Parkplatz im Ilsetal aufbreche. Da die Auswirkungen des Sturmtiefs Ignatz die kleinen Pfade des Heinrich-Heine-Weges noch weithin un-passierbar machen, nutze ich die Forstwege in Richtung Brocken. Immer bergauf, begleitet vom Rauschen der Ilse und dem Knirschen meiner Schritte auf dem gefrorenen Boden. Ein wenig verschwitzt erreiche ich die Stempelsbuche und gehe weiter auf der „Hermannstraße“ bis ich an der Hermannklippe beim Blick in das flache Harzvorland ein wenig verschnaufen kann. In meiner Erinnerung war der Weg sonst nicht so anstrengend. Aber ich bin wohl etwas wintermüde oder heute nicht so gut in Form und außerdem auch schon wieder älter als beim letzten Mal. Doch die Sonne erhellt mein Gemüt und versorgt mich mit der notwendigen Energie für den jetzt noch steileren Hirtenstieg. Trotz des Sonnenscheins wird der alte Postenweg zum Gipfel hin immer vereister und die Lochplatten erweisen sich bei diesen Bedingungen mal als hilfreich. Das Brockenplateau ist komplett vereist und macht eine elegante Fortbewegung unmöglich. Nur gut, dass ich heute nur wenige Zuschauer habe, zeitweise bin ich sogar ganz allein hier oben. Das, und der Blick in die sonnengeflutete Umgebung lassen mich alle Anstrengungen vergessen. Ich bin dankbar, dass ich die Freiheit habe, spontan aufbrechen zu können um diese Augenblicke zu erleben . Angesichts des vereisten Hirtenstieges nehme ich für den Rückweg die Brockenstraße in Richtung Schierke. Am Brockenbett biege ich ab und gehe entlang der verdeckten Ilse weiter. Auch hier hat Ignatz seine Spuren hinterlassen. Die Granitblöcke, unter denen die Ilse leise rauscht sind noch überdeckt von zahlreichen entwurzelten Bäumen. Immer weiter bergab bis zum Parkplatz im Ilsetal. Mein Sonnentank ist erst mal wieder aufgefüllt.

Dezember 2021


Foto: Ruth Schwarzkopf
Foto: Ruth Schwarzkopf

 

Herbstwanderung

 

Als wir ankommen ist der Wanderparkplatz im Ilsetal bereits voll, sodass wir die Autos gegenüber auf einer Ausweichfläche abstellen müssen. Am Parkscheinautomat eine lange Schlange. Wie wir erfahren, ist das der ganz normale Wahnsinn an einem schönen Wochenende. Wir schließen uns aber nicht der Karawane in das Ilsetal an, sondern biegen nach rechts auf den Borkenkäferpfad ab. Zum Glück haben die Forstarbeiter gerade eine Pause eingelegt und wir können vorbei an einem Rückewagen über ein dickes Stahlseil dem Weg folgen. Bevor wir auf den Windeweg kommen, sind die Reste der alten Bobbahn noch gut zu erkennen. Der Weg führt stetig bergann, Sonnenschein und die warme Herbstluft machen dicke Jacken überflüssig. Immer wieder kann der Blick über gelb leutende Birken, bunte Buchen und tote graue Fichten über das Eckertal hinaus nach Stapelburg und ins flache Harzvorland wandern. An der Taubenklippe ist Gelegenheit für eine ausgiebige Pause. Hier herrscht reger Betrieb und wir tauschen uns mit anderen Wanderern über die Beschaffenheit des weiteren Wegverlaufes aus. Die Einschätzungen reichen von unpassierbar bis „es geht schon, wir haben's ja auch geschafft“. Bevor wir uns entscheiden müssen, genießen wir von der Klippe die Aussicht auf die im Westen gelegenen Rabenklippen und den Brocken im Osten. Auch hier wieder ein herrliches herbstliches Farbenspiel. Nach einigem Hin und Her entschließen wir uns dann, die Wanderung auf der geplanten Route fortzusetzen. Vor zwei Wochen war der Weg noch gut zu begehen, jetzt liegen hier überall vom letzten Sturm entwurzelte oder abgebrochene Bäume. Wir wirken wie kleine Wichte, die sich durch ein Riesenmikado kämpfen. Heute ist es windstill und warm, der Boden überwiegend trocken, sodass auch Passagen im Vierfüßlergang unter Fichten hindurch oder Klettereinlagen über sie hinweg nicht gleich lautstarken Protest auslösen. Das Schlimmste ist bald ohne größere Blessuren überstanden. Über den Wolfshäuweg und den Schwarzen Graben erreichen wir etwas später als geplant den Zanthierplatz im Ilsetal. Ab hier ist wieder Betrieb wie in einer Fußgängerzone am verkaufsoffenen Samstag. Neun freie Plätze in einem Café zu finden erscheint uns illusorisch. Wir entschließen uns schnell, ins Café Grünspan nach Abbenrode zu fahren. Dort ist auf telefonische Rückfrage noch ein Tisch für uns frei und der Ort an der ehemaligen Grenze liegt sowieso auf unserem Heimweg. Leckerer Kuchen und Kaffee sind ein guter Abschluss unseres kleinen Abenteuers. Zum Schluß vielen Dank an meine Mitwanderinnen und Mitwanderer, dass ihr euch trotz aller Hindernisse auf dem Weg mir anvertraut habt.

Oktober 2021

 


 

Im Osten

 

Wir sind wieder einmal bei Freunden im Schlaubetal. Das neue Familienmitglied Oskar, ein schwarzer Zwergschnauzer, gerade ein paar Wochen alt, und unsere Mona sollen sich kennen lernen. Mona ist mit sieben Jahren im besten Alter und inzwischen eine fast abgeklärte Hundedame. Der schwarze Wirbelwind schafft es jedoch, Mona ums Haus zu locken und ihren Spieltrieb zu wecken. Wenn's zu arg wird, gibt es ein deutliches Knurren oder auch mal spürbare Maßregelungen von Mona. Mal sehen wie es beim nächsten Wiedersehen sein wird, wenn der kleine Racker ein jugendlicher Rabauke ist.

Am nächsten Tag fahren wir auf die polnische Seite der Oder, um die ehemalige Altstadt Küstrin zu besichtigen. Das alte Küstrin, die Festung Friedrich des Großen, die historische Altstadt auf der Halbinsel zwischen Oder und Warthe gibt es allerdings nicht mehr. Wir gehen auf den ehemaligen Straßen zwischen Hügeln, Gräben und Häuserresten hindurch. Die Stadt wurde zum Ende des zweiten Weltkrieges völlig zerstört. Die Schautafeln zeigen Bilder der alten Stadt, vom ehemaligen Schloß und der Marienkirche sind Teile der Grundmauern sichtbar. Ich fühle eine starke Beklommenheit beim Gedanken an die völlig sinnlose Zerstörung einer ganzen Stadt wenige Tage vor dem Ende des Krieges.

Am folgenden Tag fahren wir weiter entlang der Oder in Richtung Norden und bleiben zwei Tage in der Nähe von Angermünde. Die kleine Pension „Im Forsthaus“ liegt etwas abseits am Rande von Görlsdorf. Es ist ruhig, nachts noch finsterer als bei uns zu Hause und und ein guter Ausgangspunkt, das Uckermärkische Land zu entdecken. Das ehemalige Kloster Chorin ist auch nach 750 Jahren über die Architektur hinaus noch ein beeindruckender Ort. Eine ansprechende Darstellung der Klostergeschichte macht das Geschehen der damaligen Zeit erlebbar . Über uralte Kopfsteinpflasterstraßen nähern wir uns dem Weltnaturerbe Buchenwald Grumsin. Die Hinweise auf das Weltnaturerbe sind verwirrend oder nicht vorhanden, sodass wir etwas irritiert umherirren. Statt dessen stoßen wir auf dem Weg nach Altkünkendorf zunehmend auf Plakate, die auf die Bürgerinitiative „wirsindgrumsin“ hinweisen. Es gibt offensichtlich eine Diskrepanz zwischen dem Welterbe und dessen Bedeutung für die betroffene Bevölkerung. Etwas verunsichert verlassen wir die Gegend. Der Lenné Park von Görlsdorf ist dagegen frei von derartigen Belastungen. Das Gestüt Görlsdorf ist in Privatbesitz und kann nicht betreten werden, der Park ist jedoch frei zugänglich. Ein Förderverein hat ihn nach der Wende wiederhergestellt und kümmert sich um die Pflege und den Erhalt.

Der Weg nach Hause führte uns über Oranienburg und die Waldsiedlung Wandlitz. Orte mit unterschiedlicher historischer Relevanz.

Wie so oft, hat unser Weg durch die neuen Bundesländer vielschichtige Eindrücke hinterlassen. Offene und freundliche persönliche Begegnungen, großartige Landschaften, sehenswerte historische Orte stehen sichtbaren Brüchen in Stadtbildern und spürbaren Brüchen in Biografien gegenüber. Bis zu den blühenden Landschaften nicht nur im Äußeren sondern auch im Soziologischen ist noch eine Strecke zurückzulegen.

 Oktober 2021


 

Ostsee

 

Die Schuhe ausziehen, die Hosenbeine hochkrempeln, die Luft anhalten und langsam ins kalte Ostseewasser gehen. Die Bewegung und die Kraft des Wassers spüren und wenn ich stehen bleibe, mit jeder Welle tiefer im weichen Sand versinken und dabei nicht die Balance verlieren. Und nasse Hosenbeine bekommen, weil die letzte Welle doch höher war, als vermutet. Urlaubsgefühl.

Ein paar Tage einfach mal wieder ans Meer und ans Salzhaff. Blengow, ganz nah bei Rerik und die Ferienresidenz am Salzhaff waren schon einige Male unser Rückzugsort. Alles ist bekannt und somit verlieren wir keine Zeit mit Erkunden, können unmittelbar mit dem Urlaub beginnen.

Eigentlich ist ja Nebensaison, aber das rege Treiben in Rerik, die vollen Tische in den Cafés und das die nächsten Tage ausgebuchte Fischrestaurant lassen den Eindruck entstehen, wir befänden und mitten in der Hauptsaison. Das gleiche Bild bietet sich uns bei unseren Ausflügen nach Kühkungsborn und Bad Doberan. Sind das die Auswirkungen der Pandemie? Verzichten tatsächlich so viele Menschen auf den Flug auf die Balearen oder auf die Kreuzfahrt? Wir sind so oft wie möglich am Strand, dort wo wir teilweise beinahe allein für uns sind.

Ich konnte das erste Mal an einer Führung über die Halbinsel Wustrow teilnehmen. Lange Zeit war der Zugang zu dem Gebiet aufgrund der Streitigkeiten zwischem dem Eigentümer und der Stadt Rerik nicht möglich. Edelgard und Klaus Feiler, die Autoren der Dokumentation über „Die verbotene Halbinsel Wustrow“, haben in einer zweistündigen Führung eine Menge über die wechselvolle Geschichte, den aktuellen Zustand und mögliche Zukunftsaussichten berichtet. Ich bin gespannt, wie sich die Situation bis zu unserem nächsten Besuch entwickeln wird.

September 2021


 

Klassentreffen

 

Ein Wiedersehen nach langer Zeit. Einige meiner ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler habe ich 1971 zum letzten Mal gesehen, bei anderen ist der Kontakt über die Zeit nie ganz abgebrochen. Jetzt, nach fünfzig Jahren, ist fast die Hälfte der alten 10b der Gerhart-Hauptmann-Schule in Hannover wieder zusammengekommen. Viele erkenne ich auf den ersten Blick, bei anderen dauert es eine Weile, bis sich hinter dem aktuellen Gesicht das alte Bild entwickelt. Für die meisten von uns ist das aktive Berufsleben beendet und ein neuer Lebensabschnitt will gestaltet werden. Jeder hat seine eigene Strategie, Aufgaben in der Familie, Hobbies. Bei den Gesprächen über die vergangene Schulzeit wird deutlich, dass jeder sich an ganz persönliche Eindrücke erinnert, so dass ein vielschichtiges Bild der gemeinsamen Zeit entsteht. Am Schluß des kurzweiligen Abends steht der Wunsch, mit dem nächsten Treffen nicht wieder zehn Jahre zu warten. Wir werden ja auch nicht jünger.

 September 2021


 

Megamarsch

 

Ich kann's ja nicht lassen! Immer wenn ich von langen Wanderungen höre oder gezielt danach suche, kribbelt es in meinen Füßen. Und so stieß ich auf „Megamarsch“ und seine #wirgehenweiter Events. Eigentlich bin ich kein Freund solch großer Veranstaltungen, aber die Möglichkeit, in und um Hannover 50 Kilometer mit Streckenmarkierung, Verpflegungsstationen und der Motivation durch Gleichgesinnte zu gehen, ließen mich schwach werden. Einigermaßen aufgeregt und hoch motiviert bin ich am Samstagmorgen in der Nähe des Messegeländes gestartet. Trotz der vielen Teilnehmenden verlief dank sehr guter Organisation alles reibungslos. Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht gleich zu Anfang vom schnellen Tempo anderer beeinflussen zu lassen. Ich fand meinen Rhythmus, überholte oder ließ mich von Vorausgehenden ein Stück „mitziehen“. Die Physiognomien und das Alter meiner Mitwanderinnen und Mitwanderer war so vielfältig und unterschiedlich wie Menschen nur sein können. Die Lust an sportlicher Herausforderung und die Möglichkeit , diese auch umzusetzen, wohnt also nicht nur in athletischen Körpern. Die Strecke hatte von Wegen durch die Stadt bis weiten Blicken in die Landschaft alles zu bieten und das Wetter war angenehm und wanderfreundlich. An den Verpflegungsstationen war für jeden Geschmack etwas dabei, und die spartanischen Sitzgelegenheiten wurden immer verlockender. Mit der Zeit wurden meine Beine schwerer, wurden aber sofort wieder leichter, sobald ich sah, dass meine Mitstreiter ebenfalls leichte Ermüdungserscheinungen zeigten. Auf den letzten Kilometern verstummten viele der Gespräche, die meisten waren mit sich und dem Wunsch beschäftigt, möglichst bald das Ziel zu erreichen. Nach neun Stunden hatte ich es geschafft. Ich konnte immerhin noch ein Lächeln zeigen, bevor ich das wohlverdiente isotonische Getränk genoss. Müde und mal wieder mit einem blauen Zeh aber sonst unversehrt habe ich meine eigene Herausforderung gemeistert. Nun warte ich darauf, dass die Füße erneut ordentlich kribbeln.

August 2021

 


Zum Maschsee

 

Mal wieder zum Maschsee gehen. Im Kopf tauchen Bilder von Wegmarken auf – der Weg zwischen Haseder Busch und Giesen, der Kaliberg am stillgelegten Schacht Siegfried, der nicht endende Weg zwischen Ruthe und Koldingen, die Flussauenlandschaft der Leine südlich von Hannover, die Ricklinger Teiche, der Maschsee. Erinnerungen an viele Stunden gemeinsamen Wanderns, Gespräche, gegenseitiger Aufmunterungen und Freude darüber, den Weg geschafft zu haben.

Und wenn diese Bilder immer wieder auftauchen und damit verbunden die Frage, kann ich das heute auch noch, hilft nur eins – einfach mal losgehen!

Morgens um kurz nach acht bin ich in Detfurth aufgebrochen. Der Himmel ist bewölkt, die Luft angenehm mild und der Wetterbericht sagt einen regenfreien Tag vorher. Zur Sicherheit habe ich zwei Kartenausschnitte der Strecke dabei, obwohl ich versuchen will, den Weg aus der Erinnerung heraus zu gehen. Zwischen der Domäne Marienburg und Dammtor begegnen mir immer wieder Schulklassen, die das Schuljahr mit einem Wandertag beenden. Ab Steuerwald wird es ruhiger, nur die sachte dahin fließende Innerste begleitet mich. Der Giesener Kaliberg ist aus der Entfernung heute leuchtend weiß. Je näher ich ihm komme, desto mehr werden schmutzig braune Flächen sichtbar. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass dieser Abraum, der seit Jahren Wind und Wetter ausgesetzt ist, die Umgebung nicht belastet. Warum werden stillgelegte Schachtanlgen nicht wieder mit den Überbleibseln dessen verfüllt, das man einmal aus ihnen gefördert hat? Bei Giften verlasse ich die alte Route und gehe über Sarstedt nach Schliekum und dann weiter nach Ruthe. Vor der langweiligen Strecke bis Koldingen mache ich eine erste Pause. Der asphaltierte Wirtschaftsweg führt im Bogen auf den Ort, der schon von Ruthe aus zu erahnen ist, zu. Rechts verbirgt sich hinter Feldern und Uferbewuchs die Leine, links liegt im Dunst der Deister. Besonders auf diesem Wegstück fehlen mir die ablenkenden Gespräche mit Mitwanderern. Ich konzentriere mich darauf, Schritt für Schritt dem Etappenziel näher zu kommen. Die einzige Ablenkung sind Radfahrer, die mich überholen. Hinter Koldingen führt der Weg durch die Leineauen. Es wird abwechslungsreicher und lebendiger. Es sind wieder mehr Fußgänger unterwegs. Viele von ihnen anscheinend, um die vielfältige Vogelwelt hier im Naturschutzgebiet mit ihren Fotoapparaten einzufangen. Ich beobachte viele Störche, die über die gemähten Wiesen stolzieren und offensichtlich einen reich gedeckten Tisch vorfinden. Einige Jungstörche haben noch etwas Mühe, elegant zu starten. Es sieht aus, als müssten sie sich noch anstrengen, an Höhe zu gewinnen. Aber einmal in derLuft, sieht auch ihr Flug sehr elegant aus. Mir ist diese Abwechslung sehr willkommen, da meine Schritte nicht mehr so leichtfüßig sind. Die Beine werden schwerer. Andererseits bin ich erleichtert darüber, den Weg ohne Hilfe der Karten zu finden. Viele Erinnerungen und Bilder helfen mir, schließlich gegen siebzehn Uhr den Maschsee zu erreichen. In der Nähe der Löwenbastion setze ich mich auf eine Bank und genieße den Blick auf das Wasser. Die müden Beine strecken sich aus, die Reste des Proviantes schmecken. Und im Inneren breitet sich ein stiller Jubel darüber aus, es wieder einmal geschafft zu haben.

Ein blauer Zeh und ein etwas unrunder Gang am nächsten Tag, tun meiner Freude keinen Abbruch.

Juli 2021



 

 Spreewald

 

Im letzten Jahr fiel unsere jährliche Männertour in den Spreewald wegen der coronabedingten Einschränkungen aus. Jetzt haben wir sie nachgeholt. Zu fünft haben wir vier abwechslungsreiche Tage in Lübben verbracht. Die große Hitze war wechselhaftem Wetter mit vereinzelten Regenschauern gewichen, aber gut ausgerüstet mit Regenjacken und Schirmen hat alles gepasst. Die Stadt selbst bietet mit der Schlossinsel, Hauptspree, Kreuzspree und Umflutkanal, alter Stadtmauer und reichlich Natur viele Möglichkeiten. Während einer mehrstündigen Kahnfahrt gab es viele interessante Informationen und Einblicke aus ungewohnter Perspektive. Während der Kahn gelassen über das Wasser glitt, konnten wir dicht am Ufer stehende Rehe und ganze Nutriafamilien beobachten. Vielen Dank an den Kapitän, der uns humorvoll, aber ohne die sonst üblichen flachen Witze und Sprüche, unterhielt. Am Morgen der geplanten Fahrradfahrt prägten tief hängende Wolken und Regen das Bild und sorgten für gedämpfte Stimmung. Aber trotzdem unerschrocken und von der positiven Prognose einer Wetter App beflügelt, haben wir uns auf den Weg zum Fahrradladen gemacht. Dort angekommen, war von Regen nichts mehr zu spüren und fünf fast neue E-Bikes erwarteten uns. Für uns war es die erste Tour auf einem elektrisch unterstützen Fahrrrad, da wir ja alle noch viel zu fit für diese seniorengerechte Fortbewegung sind!

Wir fuhren nach Lübbenau, das schon jetzt in der Vorsaison von Touristen nur so wimmelte, weiter zum Museumsdorf Lehde. Auf der Weiterfahrt nach Leipe mussten wir zwei fahrraduntaugliche Holzbrücken schiebend überqueren. Es waren die einzigen Schikanen einer ansonsten sehr gut ausgebauten und beschilderten Route. Von Leipe nach Burg Kauper und über Straupitz fuhren wir zurück nach Lübben.

Am Ende der etwa 60 Kilometer langen Runde war unser Standpunkt zu E-Bikes deutlich erschüttert und bei der Rückgabe der Räder gab es reichlich Fragen zur Technik und zum Preis.

 

Ich habe die Tage im Spreewald sehr genossen. Endlich mal wieder mit Freunden unterwegs sein, Gesichter sehen, miteinander reden und scherzen, Normalität erleben. Ideen zur gemeinsamen Unternehmung im nächsten Jahr gibt es auch schon.

Juni 2021

 


 

 Mein Augenblick

 

Das Leben nimmt wieder Fahrt auf. Noch verhalten, aber die Einschränkungen treten immer weiter zurück, statt Masken sind wieder Gesichter zu sehen. Mal spontan einen Kaffee trinken, Essen gehen, mit Freunden treffen. Eine schon ungewohnte Leichtigkeit schleicht sich ein. Und schon kommen sie wieder, die Warner vor der vierten Welle. Als sollte ich mich gar nicht erst an die neuen, früher mal selbstverständlichen, Freiheiten ge-wöhnen. Der Angstpegel wird hoch gehalten, die immer weiter fallenden Inzidenzwerte bekommen den Charakter eines kurzzeitigen Zwischenhochs. Jetzt nur nicht übermütig werden!

 

Das meine Laune bei diesen Rahmenbedingungen in einem Dauertief zu verharren droht, wundert mich gar nicht. Damit ich mit meinem mürrischen Gehabe nicht doch noch die ganze Familie infiziere, hat meine Frau mir einen „Wanderführer“ geschenkt. 30 Wandertouren im Harz, die auch mich noch ins Staunen versetzen sollen. Der Titel „Dein Augenblick“ sagt mir, die Tourenvorschläge aufzunehmen und dabei trotzdem den eigenen Blickwinkel zu bewahren, um meinen ganz eigenen Augenblick zu erleben. Ich habe diesen Wink meiner Frau sofort verstanden. Weiß ich doch, dass gegen meine schlechte Laune oder Niedergeschlagenheit nichts besser hilft, als raus zu gehen. Drei Touren habe ich seitdem schon gemacht. Zum Brocken über den Eckerlochstieg, an den Buntenbocker Teichen zum Innerstesprung und von Wildemann durch den Iberg. Alles Wege, die ich so noch nicht gegangen bin. Zum Brocken fuhr pandemiebedingt noch keine Bahn, sodass nur Fußgänger und Radfahrer unterwegs waren. Allerdings war auch die komplette Gastronomie auf dem Gipfel geschlossen, was für einige Gipfelstürmer, die weder Proviant noch Getränke dabei hatten, eine böse Überraschung war. Buntenbock erinnerte mich mit seiner Ödnis an die menschenleeren Kulissen der Krimireihe „Harter Brocken“. Der Weg entlang der Teiche zum Innerstesprung war im Gegensatz dazu voller reizvoller Blickfänge. Die dritte Wanderung führte mich von Wildemann im Innerstetal aus zum Albertturm auf dem Iberg und an der Iberger Tropfsteinhöhle wieder nach Wildemann zurück. Auch dieser kleine Harzort hat seinen ganz eigenen Charme. Vor langer Zeit geschlossene Gasthäuser und harztypische Wohnhäuser, deren Fenster mit Weihnachtsmännern, Halloweenmasken und Osterhasen in trauter Gemeinschaft zeitlos geschmückt sind und damit den Blick des Betrachters vom Renovierungsstau des Hauses ablenken. Der Zustand etlicher Orte des Westharzes hat bestimmt viele Ursachen und ist in Jahrzehnten gewachsen, er ist nach meinem Eindruck allerdings nicht geeignet, Urlauber zu einem längeren Aufenthalt in dieser reizvollen Landschaft zu überreden. So habe ich bei meinen ersten drei Wanderungen nach dem neuen Tourenführer sehr unterschiedliche, sehr persönliche Augenblicke erlebt, die mich neugierig auf die anderen siebenundzwanzig Vorschläge machen.

 

Und gleichzeitig hat sich, so kann das meine unmittelbare Umgebung hoffentlich bestätigen, meine Laune etwas gebessert. Im Augen-blick zu sein heißt, die unmittelbare Gegenwart wahrzunehmen , anstatt mich von der Sorge um eine ungewisse Zukunft lähmen zu lassen.

Juni 2021

 


 

50 Jahre

 

1971 – Willy Brandt ist Bundeskanzler, die Sendung mit der Maus wird erstmals ausgestrahlt, der Assuan Staudamm wird eingeweiht und im Vietnamkrieg wird der Einsatz von Agent Orange eingestellt. Jim Morrison und Louis Armstrong sind gestorben. „My sweet Lord“ von George Harrison und „Hey Tonight“ von CCR sind Nummer eins Hits und Tony Marshall besingt eine „Schöne Maid“.

 

Im Juli diesen Jahres endet meine Schulzeit und der Ernst des Lebens soll beginnen. Mit dem Start einer Berufsausbildung findet meine Vorstellung vom Berufsleben ihren Anfang. In der Welt eines siebzehnjährigen scheint alles gut durchdacht. Der Plan für meine Zukunft steht, erscheint folgerichtig und lässt mich erwachsen fühlen. Aus heutiger Sicht eine trügerische Wahrnehmung, denn, so glaube ich heute, ist erwachsen zu werden ein stetiger und ungleicher Prozeß. Manchmal wird mir sehr bewußt gemacht, dass ich mich bereits im Rentenalter befinde und dann gibt es Augenblicke, in denen ich mich so aufgeregt und unreif wie ein siebzehnjähriger fühle. Die Arbeitswelt stellt ungewohnte Herausforderungen an mich, verändert Perspektiven und eröffnet neue Horizonte. Ich genieße neue Freiheiten und werde unabhängiger vom elterlichen Zuhause. Gleichzeitig gilt es, neuen Regeln zu folgen und eigene Standpunkte zu finden. Mein Weg zum Erwachsenen ist nicht immer nach dem ursprünglichen Plan verlaufen. Im Rückblick war aber gerade die erste Zeit nach der Schulentlassung eine aufregende Zeit mit prägenden Erinnerungen,  auch wenn mir die ein oder andere Peinlichkeit noch heute rote Ohren verursacht.

 

Fünfzig Jahre seit dem Schulende scheinen mir ein geeigneter Anlass zu sein, zu einem Klassentreffen einzuladen. Erinnerungen austauschen und hören, wie der Lebensweg der Anderen verlaufen ist und wie ihr Plan für die Zeit nach dem Ende des Berufslebens aussieht. Die alte Adressenliste ist inzwischen nicht mehr aktuell und lückenhaft. Aber dennoch, mal sehen, wer noch erreichbar ist. Die Einladung ist versendet und ich bin gespannt, wer Lust und Neugier auf ein Wiedersehen hat.

April 2021


 

Bemusterung, Anprobe, Inaugenscheinnahme

 

Anprobe = ein individuell bestelltes Kleidungsstück anprobieren - erlaubt

spontan ein weiteres Kleidungsstück anprobieren - verboten

Bemusterung = Begutachtung von Türen, Fenstern, Sanitärartikeln, etc. - erlaubt

Inaugenscheinnahme = sonstige Möbel wie z. B. Tische, Stühle, Sofas, etc. -verboten

Corona-Verordnung Nds vom 08.03.21

 

Wer soll das denn noch verstehen?

 

Das ist lebensferne Haarspalterei, die entsteht, wenn es jemandem gelingt, eine gut gemeinte Regelung mit einer Durchführungs-anweisung bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln.

Wer noch nicht coronamüde und genervt ist, wer immer noch versucht, hinter sich widersprechenden und im Wochenrhythmus wechselnden Regeln den roten Faden zu erkennen, wird auf eine harte Probe gestellt. Es gibt in dieser Situation keine absolut richtige Lösung. Fehler und Umwege sind unvermeidbar. Wer aber erst handelt, wenn er glaubt, alles zu hundert Prozent regeln zu können, kommt nicht ans Ziel, kommt nicht vom Wollen zum notwendigen Tun. Und er verliert unterwegs die Menschen, für die er zu handeln glaubt.

Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien und kann Schlußfolgerungen von Querdenkern nicht nachvollziehen.

Aber ich halte viele der Regeln, wie z. B. Abstand halten, Mund - Nasen Schutz tragen für angemessen und hilfreich. Und ich bin mir sicher, dass geschlossene Kitas, Schulen und kulturelle Einrichtungen, der Verlust von Kontakten uns nicht im Positiven verändern.

Diese Pandemie offenbart schonungslos die strukturellen Schwächen und Fehlentwicklungen unseres Zusammenlebens. Ein zurück zum Vorher oder gar ein weiter so darf es daher nicht geben. Ich wünsche mir dringend eine Abkehr von Regelungswut, Ankündigungs-orgien, Bereicherungen und Tunnelblicken.

Dann könnte ich vielleicht die Einschränkungen noch ein wenig länger ertragen.

 (März 2021)


 

Vorsätze?

 

 

Heilfasten! Schlank und fit ins neue Jahr! 10 gute Vorsätze, die 2021 jeder schaffen kann!

 

Die Angebote, sich gleich zu Beginn des neuen Jahres mit einer to do Liste zu belasten, lassen sich scheinbar endlos fortsetzen. Ich weiß nicht, wie hoch der Anteil der Gescheiterten und Frustrierten ist. Ich fürchte, er ist noch höher als ich vermute. Meine Aufzählung von Dingen, die ich mir vorgenommen habe zu erledigen und die noch ergänzt ist von Arbeiten, die mir aufgetragen sind, habe ich aus dem alten Jahr hinüber gerettet. Sie hängt deutlich sichtbar über meinem Schreibtisch und ich bin zuversichtlich, im neuen Jahr weitere Haken für „erledigt“ hinzufügen zu können. Ich weiß, dass jeder neue Haken mir gut tun wird. Heute bin ich erst mal ganz stolz auf mich, dass ich mir trotz des Wetters wieder die Laufschuhe angezogen habe, und eine Runde gelaufen bin! Wenn's so weiter geht, will ich zufrieden mit mir sein. Auch ein guter Vorsatz!

Januar 2021