Der Weg in die Stille

 

Zum dritten Mal war ich auf dem Weg in die Stille im Kloster Marienrode. Ein Wochenende Auszeit. Von Freitag bis Sonntag Meditation im Stile des Zen. Durchgängiges Schweigen. Ich empfinde es als sehr wohltuend, trotz der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten mit mir allein sein zu können. Kein unnützes Geplapper lenkt mich ab. Ich kann mich ganz auf den Schmerz der im Sitzen gekreuzten Beine konzentrieren. Es ist noch immer so unbequem wie beim ersten Mal, aber ich lerne, das es so bleiben wird. Was sich im Laufe der Zeit verändern kann, ist meine Einstellung dazu. In der Stille stürmen Gedanken und Bilder auf mich ein, die im lauten Tagestrott keinen Platz und keine Beachtung finden. Die Konzentration auf meinen Atem hilft mir, mich von diesem Sturm zu lösen und nur im Augenblick zu sein. In den Pausen ist ausreichend Zeit, die kalte und klare Winterluft zu atmen. Die Sonne nimmt der Kälte etwas von ihrer Härte und ich genieße den weiten Blick in die Landschaft. Am Abend wölbt sich ein wunderbarer Sternenhimmel über mir, dem ich Grüße anvertrauen kann.

Der Weg der Stille entfernt mich von der Weihnachtsaufgeregtheit und dem ganzen Irrsinn der Welt, die mich umgibt. Alles ist noch da, wenn ich am Sonntagmittag das Kloster verlasse, aber ich habe Kraft geschöpft, um in dem ganzen Irrsinn bestehen zu können.

Danke Max, für deine einfühlsame Anleitung und Begleitung.

Dezember 2016


Dogtrekking

 

 

Ich wollte ja immer einen Hund, der mich auf meinen Wanderungen begleitet. Groß sollte er sein, entspannt und möglichst ohne Leine unterwegs sein. Nun kommt es im Leben ja oft anders als geplant. Aus einem großen Hund ist die kleine Mona geworden. Eine Welshterrierdame  mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein, die nicht weiß, wohin es geht, aber schon mal vorrennt. Immer neugierig  und auf der Suche nach Abwechslung und jagdbarem Klein- und Großgetier. Wir haben lange miteinander gerungen, voneinander gelernt und uns besonders mit Unterstützung von Karen von den Deisterhunden zu einem ganz  passablen Team entwickelt.

 

 

Unterwegs sind wir gern. Es dürfen auch mal ein paar Kilometer mehr sein und mit Geschirr und Zugleine können wir den Weg jetzt auch beide entspannt genießen. Es sollte aber noch etwas mehr sein und so habe ich uns für das Harz-Dogtrekking, organisiert von hundwegsam, angemeldet. Von Elbingerode aus  auf einer etwa 30 Kilometer langen Runde durch den herbstlichen Harz.

Gestern Morgen sind wir um 7:30 Uhr am Campingplatz gestartet. Ausgestattet mit einem Kartenausschnitt und einer Stempelkarte. Auf der musste am Ende durch vier Stempel nachgewiesen sein, dass wir die Runde auch tatsächlich absolviert haben. Frohgemut sind Mona und ich aufgebrochen und haben uns kurz vor dem Zillierbachstausee das erste Mal verlaufen. Wir trafen Gott sei Dank auf andere Teilnehmer, denen es ähnlich erging. Gemeinsam und mit Hilfe moderner Technik haben wir auf den richtigen Weg zurückgefunden und konnten am Peterstein den ersten Stempel auf die Karte drücken. Am Ufer des Stausees ging es weiter nach Drei Annen Hohne und zur zweiten Stempelstelle am Ottofelsen. Ab hier unterschieden sich Karte und Wirklichkeit wieder auffallend voneinander. Mehrere Teilnehmer standen ratlos an verschiedenen Abzweigen, auf der Suche nach einer Lösung. Ich war also nicht allein mit meiner Unsicherheit. Etwas hilfreich war, dass ich mich im Harz ganz gut auskenne. Für das nächste Wegstück schlossen sich uns Miriam und  ihr Husky Hexe an. So konnten wir den Frust über unsere Orientierungslosigkeit wenigstens teilen. Mehr nach Gefühl stapften wir bergauf. Die Hunde waren ganz entspannt und genossen den Weg. Glücklicherweise trafen wir nach einiger Zeit wieder auf eine kleine Gruppe kartenstudierender Teilnehmer. Uwe und Rastu mit ihrer kleinen Lotta hatten die richtigen Karten auf ihr Smartphone geladen und gehörten somit zu den Wissenden in dieser Runde. Miriam und ich schlossen uns den dreien an und wurden fortan ziemlich zielsicher durch das Harzer Klippenlabyrinth navigiert. Die Wege waren teilweise mühsam zu gehen und beim Klettern über die Landmannklippe kamen wir ordentlich ins Schwitzen. So wie Mona hier unterwegs war, müssen unter ihren Vorfahren auch Gemsen gewesen sein. Sie fand oft den besten Weg zwischen Felsen und Hochmoor, so dass ich ihr nur folgen musste. Das nebligfeuchte Herbstwetter geriet bei der notwendigen Aufmerksamkeit für den Weg fast in den Hintergrund. An der dritten Stempelstelle am Brockenbett nutzten wir die Schutzhütte für eine ausgiebige Rast – und kühlten schneller aus, als uns lieb war. Es dauerte danach eine ganze Weile und einige Höhenmeter zur Leistenklippe, bis wir wieder angenehme Betriebstemperatur erreicht hatten. Für den letzten Stempel an der Leistenklippe hatten sich schon andere Liebhaber gefunden, so dass wir stattdessen ein Beweis-Selfi machten. Jetzt ging es auf den Rückweg über Drei Annen Hohne zurück nach Elbingerode. Als wir nach zehn Stunden das Ziel erreichten, war es bereits dunkel. Mona und ich waren länger unterwegs, als ich geplant hatte. Gefühlt waren es auch ein paar Kilometer mehr, aber Dank der guten Navigation von Uwe sind uns weitere Umwege erspart geblieben. Wieder zu Hause angekommen haben Mona und ich uns müde auf dem Sofa niedergelassen. Ich bin sehr stolz auf meinen kleinen Hund und denke, dass dies nicht die letzte lange Strecke war. 

 

Heute hat Mona keine Lust auf eine ausgedehnte Tour. Wir relaxen und unsere Wege beschränken sich auf die notwendigen Gassigänge.

 

November 2016


Heinz

 

Um zu verstehen, wer man ist, muss man wissen woher man kommt. Lange bevor ich mir dessen bewusst war, hat mich meine Familiengeschichte interessiert. Irgendwann fand ich die „Geschichten von früher“ nicht mehr langweilig, sondern hörte besonders meinem Großvater aufmerksam zu. Allmählich wurden mir die ersten Zusammenhänge deutlich. Wer ist mit wem verwandt, wer gehört zu wem, wie ist die Familie regional verstreut. Sehr spannend fand ich die Tatsache, dass mein Vater  und mein Onkel noch einen älteren Bruder hatten. Durch meine Eltern wusste ich zwar von dessen ehemaliger Existenz, aber die Informationen dazu waren nur knapp. Heinz war Soldat und sollte nach seiner „Frontbewährung“ nach Berlin, um dort Medizin zu studieren. Er ist jedoch während dieser Frontbewährung in Russland gefallen. Was außer der überlieferten Erinnerung  existierte, waren die Briefe, die er während seiner Zeit als  Soldat beinahe täglich nach Hause geschickt hatte. Mein Großvater hat die Originale und zwei Abschriften binden lassen. Das Original besaß er selbst, mein Vater und mein Onkel hatten jeweils eine Abschrift. Seit ich das erste Mal in diesem Buch las, sind heute mehr als 40 Jahre vergangen. Schon beim ersten Lesen hat mich sein letzter Brief außerordentlich berührt. Da scheint sich ein 19 jähriger Mann von seiner Familie zu verabschieden und ihr gleichzeitig Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt zu machen.

Es gab lange Zwischenräume, in denen ich nicht mehr so intensiv an die Briefe dachte. Erst als ich anfing, mich mit meiner eigenen Geschichte zu befassen und Antworten auf die sich daraus ergebenden Fragen suchte, wandte ich mich wieder den Briefen zu. Anlass dazu waren auch die Bücher von Sabine Bode[1] und Matthias Lohre[2] in denen sie die Auswirkungen des 2. Weltkrieges auf die nachfolgenden Generationen beschreiben.

 

Ich habe versucht, den Weg meines Onkels, den ich nie persönlich  kennengelernt habe, nachzuvollziehen. Die Bereitschaft seiner Brüder, über ihn zu sprechen, war seltsam verhalten und ging nie über das hinaus, was ich den Briefen entnehmen konnte. Meinen Großvater, der 1980 gestorben ist, konnte ich nicht mehr befragen. Durch einen Kontakt mit Heinz‘ ehemaliger Schule konnte ich die ein oder andere Lücke schließen.  Inzwischen habe ich auch alte Fotos meines Onkels, die das Bild vervollständigen. Ich habe die Orte, an denen er war, ausfindig gemacht. Bei meinen Recherchen im Internet fand ich heraus, dass das Kasernengebäude, in dem er während eines dreimonatigen Lehrgangs war, noch existiert. Es ist Teil eines ehemaligen Schlosses in Gniew / Mewe an der Weichsel. Heute wird die Anlage als Veranstaltungszentrum, Museum und Hotel genutzt. Sehr schnell wurde mir klar, dass ich an diesen Ort reisen will, um meinem Onkel dort nachzuspüren. Natürlich könnte ich dies auch hier, wo ich lebe. Hier ist er aufgewachsen, in die Schule gegangen, in der Kirche gewesen. Hunderte Male bin ich sicherlich auf seinen Spuren gewesen. Dennoch fehlt mir hier die direkte Verbindung zu ihm. Hier kenne ich ihn nur aus Erzählungen. Durch seine Briefe jedoch ist er mir vertraut geworden. Die Orte, die er beschreibt, haben für mich eine andere Bedeutung bekommen.

 

Jetzt, Anfang Oktober, war es endlich so weit. In Begleitung meiner Frau und unseres Hundes habe ich mich auf den über 700 Kilometer weiten Weg nach Polen gemacht. Heinz‘ Briefe und die alten Fotos im Gepäck und eine diffuse Aufregung im Bauch. Die Fahrt ging über gut ausgebaute Autobahnen, Schnellstraßen und Landesstraßen in weniger gutem Zustand. Je weiter ich in Richtung Osten kam, desto deutlicher nahm ich einen teils krassen Gegensatz von altem sozialistischem Charme und Neuem wahr, das sich nicht von hiesiger Architektur unterscheidet. Am späten Nachmittag erreiche ich Gniew. Die weithin sichtbare Stadtkirche und die mächtige Ordensburg erleichtern mir die Orientierung. Schnell finde ich das Hotel. Nach 73 Jahren bin ich dort angekommen, worüber Heinz in seinen Briefen berichtet hat. Anhand der alten schwarzweiß Fotos erkenne ich vieles sofort. Nachdem ich eingecheckt habe und zur Ruhe gekommen bin, mache ich einen ersten Gang durch die Burganlage. An der alten Ziegelmauer zu stehen und auf die Weichsel hinab zu blicken, und genau den Blick zu haben wie Heinz, ist sehr emotional. In seinen Briefen hat er das Bild eines sportlich strammen Militärdienstes gezeichnet, sicherlich um besonders seine besorgte Mutter nicht zu beunruhigen. Andererseits erschien er mir zwischen den Zeilen als nachdenklicher Mensch, der die Zeitläufe nicht unkritisch hinnahm.  Unbeschwert wird sein Blick von hier oben nicht immer gewesen sein.

Beim Abendessen kommt mir der Gedanke, dass hier vor mehr als sieben Jahrzehnten Heinz und seine Kameraden saßen, und die Kasernenkost durch die von zu Hause geschickte Mettwurst, Butter und Marmelade bereicherten.

Am nächsten Morgen gehe ich hinunter zur Weichsel. Die Straße endet an einem ehemaligen Fähranleger. Anders als auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses stört hier kein Deich den weiten Blick. Die Stadt liegt vor Hochwasser  gut geschützt. Der Name Gniew ist slawischen Ursprungs und bedeutet Erhebung. Einige Angler stehen am Ufer und hoffen auf einen guten Fang. Ansonsten bin ich mit Rehen, Füchsen und einigen Pferden auf einer Weide allein. Eine beruhigende Atmosphäre und ein Anblick, der sich kaum von dem vor 73 Jahren unterscheiden dürfte. Vormittags bin ich in der Stadt unterwegs. Überall wird gebuddelt und saniert. Auf Schautafeln ist dargestellt, wie der Ortskern mit dem Marktplatz am Ende der Restaurierungsarbeiten aussehen wird. Es wird so scheinen, als wäre die Zeit kaum vergangen. Dann bin ich in der Kirche, von der Heinz sehr anschaulich berichtete. Eine Ordensschwester war gerade damit beschäftigt, den Kirchenraum nach einem Trauergottesdienst wieder herzurichten. Emsig und energisch verrichtete sie ihre Arbeit, würdigte mich keines Blickes. Ich war wohl etwas im Weg, wollte mich jedoch in meinen Betrachtungen nicht stören lassen. Die große Kirche bot letztendlich genug Platz für uns beide. Der graue Regentag ließ nur wenig Licht durch die gotischen Fenster in den Raum, so dass die künstlich flackernden LED-Kerzen am Opferstock und die LED-Lichtschlangen am Fuß einer Marienstatue ein unwirkliches Bild entstehen lassen. Für meinen Geschmack ein gewöhnungsbedürftiger Anblick. Ich denke an Heinz‘ Beschreibung eines Sonntagsgottesdienstes im Juli 1943, die ich beim Lesen gestern Abend etwas überheblich und vom Geist der damaligen Zeit geprägt fand. Meine Beurteilung fiel im Hinblick auf die regionalen Gepflogenheiten  wesentlich toleranter, im Hinblick auf den ästhetischen Eindruck aber sehr ähnlich aus. Am Nachmittag finde ich nach einigem Suchen etwa 15 Kilometer von Gniew entfernt in Opalnie (Münsterwalde) das ehemalige Gutshaus, in dessen Garten Heinz in einem „prachtvollen Himbeerfeld“ eine vitaminreiche Abwechslung fand. Die Rückfahrt geht über Tczew (Dirschau) nach Gniew zurück. So bin ich an fast allen Orten, die in den Briefen genannt wurden,  gewesen und nehme  meinen persönlichen Eindruck mit. Am nächsten Tag waren wir in Danzig und haben den historischen Teil der Stadt erkundet. Gott sei Dank hatte es wenigstens aufgehört zu regnen. Warm angezogen waren wir zuerst zu Fuß, dann mit einem Stadtführer in einem kleinen Elektromobil unterwegs. Der junge Mann sprach ganz passabel Deutsch, so dass wir interessante Details zu Danzigs Geschichte erfuhren. Bei der Touristeninformation hatten wir uns vergeblich nach deutschsprachigen Unterlagen erkundigt. Wir ernteten nur ein Kopfschütteln und den Hinweis auf Infos in Englisch. Auch die Hinweistafeln an vielen Gebäuden waren in Polnisch und Englisch. Eine Erfahrung, die wir bereits in Gniew gemacht haben. Die leidvolle Geschichte des Landes wirkt auf diese Weise trotz aller Zugewandheit der Menschen bis heute nach.

Bevor wir am nächsten Tag aus Gniew abreisen, lasse ich die Stimmung des Ortes noch einmal auf mich wirken. Ich bin in der kurzen Zeit meinem Onkel Heinz ein beträchtliches Stück näher gekommen. Mein Familienpuzzle konnte ich um Teile ergänzen. Vieles kann ich nun besser verstehen. Es war weniger eine Reise in die Vergangenheit als mehr eine Reise zu mir.

 

[1] Sabine Bode: „Kriegsenkel“, „Nachkriegskinder“

[2] Matthias Lohre: „Das Erbe der Kriegsenkel“

Oktober 2016


Mit Eseln im Harz

 

Bei schönstem Herbstwetter treffen wir uns am Waldhotel Ilsenburg. Drei Kinder, acht Erwachsene und vier Hunde wollen in Begleitung von drei Eseln durch den Harz wandern. Da Jonathan und ich im vergangenen Jahr den Eselführerschein gemacht haben, dürfen wir in eigener Verantwortung mit den Grautieren unterwegs sein.  Max, ein deutscher Hausesel muss wegen einer Lungenentzündung jedoch im Stall bleiben und sich schonen. So bleiben uns Moritz, der graue Zwergesel und Momo, eine dunkelbraune Großeselstute als Begleiter. Das Anlegen des Zaumzeugs lassen die beiden geduldig über sich ergehen. Die Hunde mustern erst mal etwas vorsichtig diese großen Vierbeiner und halten respektvollen Abstand.

Auf geht’s! – Schön wär`s!

Während sich Moritz bereitwillig von Jonathan führen lässt, zeigt Momo, dass sie eine echte Eselin ist. Sie bewegt sich keinen Millimeter in die von uns gewünschte Richtung. Irgendwann, nach vielen Versuchen, hat sie ein Einsehen mit uns und setzt sich gemächlich in Gang. Eine konkrete Route habe ich für heute nicht festgelegt. Wir wollen uns den (vierbeinigen) Eseln anpassen und uns überraschen lassen. Auf dem Fahrweg geht es das Ilsetal aufwärts. Den urwüchsigen Weg direkt an der Ilse meiden wir, da wir zum Ende über eine Brücke müssten. Und wie wir von der Eselführerscheinprüfung wissen, ist Momo gegen Brücken allergisch. Auch sonst scheint sie heute nicht so gut zu Fuß zu sein. Manchmal hinkt  sie etwas. Nachdem ich einen Stein aus einem Huf entfernt habe, geht es besser . Irgendwann glaube ich, Momo hat Robert Louis Stevensons Erzählung „Reise mit dem Esel durch die Cevennen“ gelesen und hält sich für Modestine. Es bleibt nur, uns zu fügen, und unser Wandertempo drastisch zu reduzieren. Aber das war es doch eigentlich, was ich mit der Eselwanderung bezwecken wollte – entschleunigen und sich der Natur, diesmal in Gestalt der Esel, fügen.

 

Nach einiger Zeit biegen wir vom Fahrweg ab und steigen auf dem schmalen, felsigen und feuchten Heinrich-Heine-Weg direkt entlang der Ilsefälle zur Bremer Hütte hinauf. Hier fühlt Momo sich offensichtlich wohl und ist plötzlich leichtfüßig und zügig unterwegs. An der Bremer Hütte ergattern wir noch ein paar freie Sitzplätze, was angesichts des heutigen Wanderbetriebes nicht selbstverständlich ist. Nach der Pause gehen wir weiter in Richtung Plessenburg. Moritz und Momo trennen sich nur ungern von den leckeren Sträuchern in der Nähe der Hütte. Am Gasthaus Plessenburg ist heute mehr Betrieb als in der Hildesheimer Fußgängerzone. Neben den zahlreichen Wanderern und Mountainbikern belebt die Bergwacht das Gelände mit der letzten Station ihres heutigen Leistungsvergleiches. Hier müssen die Zweierteams „Verletzte“ versorgen. Als zusätzliche Attraktion tauchen wir mit unseren Eseln auf. Nachdem wir uns gestärkt haben und die Esel von vielen Kinderhänden gestreichelt wurden, machen wir uns auf den Rückweg ins Ilsetal. Nach fünfeinhalb Stunden sind wir zurück am Waldhotel Ilsetal. Die Esel haben den Weg viel kürzer erscheinen lassen. Insbesondere die Kinder waren damit beschäftigt, die Grautiere mit Leckereien wie Möhren und Blättern bei Laune zu halten. Immer wieder wurden wir neugierig und interessiert auf unsere Begleiter angesprochen. Obwohl ich mich die meiste Zeit mit Momo „abgeeselt“ habe und eine Menge Geduld aufbringen musste, habe ich sie schlussendlich doch ein bisschen lieb gewonnen, diese charmante, störrische Kreatur.

September 2016


Kleine Fluchten

 

 

34 Jahre ist es her, als wir zuletzt in einem alten ausgebauten Bully unterwegs waren. Bis nach Südfrankreich fuhren wir  und hatten außer der notwendigsten Ausrüstung und einer Menge Plänen und Ideen für die Zukunft nichts dabei. Heute ist von dieser  Zukunft vieles Vergangenheit. Aber es ist immer noch genug Leben da, noch mal etwas zu wagen. In unserer Kindheit waren Großeltern gesetzte Herrschaften, die alles schon erlebt hatten, und deren Gewohnheiten wir Kinder genau einschätzen konnten. Heute sorgen Oma und Opa dagegen noch mal für die eine oder andere Überraschung. Als unser altes Auto seinen Dienst einstellte, mussten wir uns nach einem Ersatz umsehen. Zuerst unglücklich über die missliche Lage, haben wir die Chance ergriffen, den lange schwelenden Wunsch nach einem „Campingmobil“ Wirklichkeit werden zu lassen. Jetzt haben wir und unser Hund Mona die erste Nacht in unserem Auto überstanden. Noch ist nichts ausgebaut. Ein Gaskocher, Isomatte und Schlafsack haben ausgereicht, um uns nach dem Test auf einem Obsthof im Alten Land wieder lebendiger zu fühlen. Zumindest hatten wir beide mehrfach ein deutliches Grinsen im Gesicht. Vom Lühe Fähranleger haben wir große und kleine Schiffe auf der Elbe beobachtet und uns die Beine entlang des Elbdeiches vertreten. Die Apfelbäume waren dicht an dicht mit lecker aussehenden Früchten behängt.

 

Solange es das Tageslicht und die Temperatur zuließ, haben wir abends draußen gekniffelt. Danach haben wir es uns im Auto beim Schein einer kleinen Lampe gemütlich gemacht und unser Abenteuer mit einem Schluck Sekt gefeiert. Mona`s Blick beim Herrichten der Schlafgelegenheiten schien zu sagen, jetzt werden sie ganz und gar verrückt!

Geschlafen haben wir ausgezeichnet, ich sogar länger als zu Haus.

Beim Frühstück im noch feuchten Gras näherte sich uns neugierig ein offensichtlich lebensmüdes Huhn. Nur die Leine verhinderte, dass es zu Mona`s zweitem Frühstück wurde. So viel Action am Morgen macht Lust auf den Tag!

Auf dem Weg nach Hause haben wir nach einem Zwischenstop in Stade in Otterndorf noch über`n Deich auf die Elbemündung geschaut.

Wieder zurück Zuhause haben wir festgestellt, was beim nächsten Mal nicht brauchen und was wir auf jeden Fall dabei haben sollten. Es war ein kleines Abenteuer, das auf jeden Fall seine Fortsetzung findet.

September 2016


Regentag

 

 Die Trockenheit der vergangenen Wochen hat Rasen und Mais verdorren lassen. Viele Laubbäume haben aus purer Notwehr vorzeitig ihre Blätter abgeworfen und selbst sumpfige Pfade im Harz waren trockenen Fußes zu passieren. Regen war also dringend notwendig!

 

Aber warum ausgerechnet am vergangenen Samstag, als wir uns zu unserer lange geplanten Wanderung vom Eckertal zu den Taubenklippen aufmachten? Manchmal scheint sich das Wetter gegen Wanderer zu verschwören und sagen zu wollen:“Bleibt doch einfach zu Hause und lasst diese wunderbare Natur mit ihren Bildern und Düften unberührt.“

 

Wir haben uns jedoch nicht beeindrucken lassen und sind verhüllt von unterschiedlichem Regenschutz von der „Alt Ilsenburger Nagelschmiede“ aus aufgebrochen. Durch Ilsenburg, vorbei am Forellenteich auf den Besenbinderstieg. Ein naturbelassener Pfad durch Buchen- und Mischwald. Weder andere Wanderer noch Mountainbiker stören unseren Rhythmus. Auch die Wildschweine, die kurz zuvor noch die Wegränder aufgewühlt haben, lassen uns allein. Wir erreichen das Eckertal und befinden uns jetzt direkt auf dem ehemaligen Grenzstreifen. Dort wo vor 25 Jahren der Blick noch frei war, stehen heute junge Bäume und Sträucher. Ohne Tafeln und Hinweisschilder über die ursprüngliche Bedeutung dieser Umgebung ist es eine Idylle. Die Betonplatten des Postenweges sind beinahe bis zur Unkenntlichkeit überwuchert. Immer entlang der Ecker, die heute als „Grenzfluß“ Niedersachsen von Sachsen-Anhalt trennt, gehen wir an der Papierfabrik vorbei bis an eine kleine Brücke. Wir überqueren den Bach und steigen nun einen steilen Pfad hinauf. Spätestens jetzt kommen zu den Regentropfen von außen, die Schweißperlen von innen. Zwischendurch entsteht der Eindruck, dieser Weg würde nicht enden und zudem auch immer steiler werden. Mit ein paar kurzen Verschnaufpausen meistern wir diese Herausforderung. Das fast ebene Wegstück bis zu den Taubenklippen ist jetzt die reinste Erholung.

 

In der Hütte an den Klippen rasten wir, bleiben aber nicht so lange, da uns in der feuchten Kleidung doch sehr schnell kalt wird. Den Aufstieg auf die Klippen sparen wir uns. Der Dunst verhindert jeden Weitblick. Wieder in Bewegung, wird uns schnell etwas wärmer. Auch hochtechnische Kleidung und Schuhe kommt bei dieser geballten Feuchtigkeit aus allen Richtungen letztendlich an ihre Grenzen. Jeder von uns kämpft auf seine Weise gegen diese Herausforderung. Durch einen nebelverhangenen Fichtenwald, den an vielen Stellen kahle abgestorbene Bäume dominieren, und wieder ein Stück auf dem alten Postenweg gehen wir hinunter ins Ilsetal. Als wir den Heinrich-Heine-Weg kreuzen, verzichten wir auf den abwechslungsreicheren Weg links der Ilse und bleiben auf dem Fahrweg. Jetzt zügig zurück, raus aus den feuchten Klamotten, und als Belohnung eine Einkehr in der gemütlichen „Alt Ilsenburger Nagelschmiede“.

 

Allen geschilderten Beschwernissen zum Trotz war es ein schönes Erlebnis draußen unterwegs zu sein. Die Natur als Tankstelle um wieder aufzutanken, und den Kopf frei bekommen von den alltäglichen Anforderungen.

September 2016


Sörmlandsleden

 

„you’ll never walk alone“

 

 

 

Dienstag

Im Flieger von Bremen nach Stockholm-Skvasta. Das Wetter ist warm und sonnig. Über Schweden werden die Wolken dichter und beim Landeanflug werden wir in dunklen Regenwolken kräftig durchgeschüttelt. Beim Verlassen des Flughafens geht ein Platzregen nieder, so dass ich wieder zurück ins Gebäude flüchte. Ich nutze die Zeit, den mir noch unbekannten Mitwanderer ausfindig zu machen. Zielsicher spreche ich jemanden an und habe tatsächlich auf Anhieb Glück. Es ist Jacek.  Wir nutzen die Zeit und machen uns kurz bekannt. Nicht lange müssen wir auf Matthias warten, der bereits mit Christian vorausgefahren war um Lebensmittel einzukaufen und die geplanten Übernachtungsplätze zu inspizieren. Draußen am Auto wartet Christian. Jacek und ich verstauen unser Gepäck und gemeinsam fahren wir zum Startpunkt unserer siebentägigen Wanderung am Rande Nyköpings. Wir werden auf einigen Abschnitten des südlichen Sörmlandsleden, eines der längsten Wanderwege Skandinaviens, unterwegs sein.

Nachdem wir uns mit frischen Zimtschnecken gestärkt haben, machen wir uns zu dritt auf den Weg. Heute wird Christian zum ersten Ziel voraus fahren. Das Wetter ist typisch schwedisch, eine Mischung aus Sonne und Regen. Ich trage meinen großen Rucksack, was den Weg, der überwiegend ein schmaler Pfad über Felsen und Baumwurzeln ist, etwas beschwerlich macht. Die ungewohnte Last und der Weg fordern meine ganze Aufmerksamkeit. Manchmal ist der Weg unter hüfthohen Farnen, Sträuchern, und Büschen versteckt. Nur an den orangefarbenen Markierungen an Bäumen können wir uns dann orientieren. Überall wachsen Heidelbeeren und vereinzelt Himbeeren, die immer wieder zum Naschen einladen. Nach etwa 17 Kilometern erreichen wir unser erstes Tagesziel, eine Schutzhütte am Överdammen. Ein kleiner, abseits gelegener  See. Zwei Brüder aus Goch sind schon vor uns angekommen. Da sie aber in ihren Zelten übernachten, bleibt für uns genug Platz in der Hütte.

In der Welt der schwedischen Natur, zwischen einsamen Seen, Sümpfen, markanten Felsformationen und märchenhaften Farn- und Flechtenteppichen wird in den kommenden Tagen neben gemeinsamen Gesprächen auch reichlich Raum sein, den eigenen Gedanken nachzuhängen. Als täglicher Impuls dient jeweils ein männlicher Archetyp. Heiler, Vater, Krieger, wilder Mann, Liebhaber, Mystiker und König als Helfer, der eigenen Seele auf die Spur zu kommen. Abends wird Gelegenheit sein, sich mit den Anderen auszutauschen.

Beim Einschlafen genieße ich den kühlen Wind im Gesicht. Es ist gut, endlich wieder einmal eine Nacht draußen zu sein.

  

Mittwoch

Ich habe sehr gut geschlafen. Der Morgenhimmel ist strahlend blau, nur ein leichter Wind geht. Vom See steigt heller Dunst auf. Das Wasser ist gar nicht so kalt wie es aussieht, so dass die Körperpflege nicht zur Mutprobe wird. Ich beschließe, ab heute mit dem leichteren Tagesrucksack zu gehen und den großen Rucksack im Auto transportieren zu lassen. Luxus pur! Die beiden Brüder gehen heute auf ihre Schlussetappe. Beim nächsten Mal werden sie nur die Hälfte dessen mitnehmen, was diesmal die Tour teilweise sehr beschwerlich machte. Draußen an der frischen Luft macht es ja nichts aus, wenn die Wäsche länger als zu Haus getragen wird. Hauptsache, es wird Gewicht gespart.

Heute werden wir von Christian geführt. Für schwedische Verhältnisse ist es außerordentlich warm. Wieder geht es auf und ab durch den Wald. Die Trolle bleiben bei dem Wetter lieber in ihren Verstecken und warten die kühle Dämmerung für ihr geheimnisvolles Treiben ab. Hin und wieder können wir den Blick von einem Felsen aus über einen unendlich erscheinenden Wald schweifen lassen. Am Nachmittag erreichen wir unser heutiges Ziel, den Nävsjön. An diesem See herrscht vergleichsweise reges Treiben. Am Ufer liegen Ruderboote, mit denen man zum Angeln auf den See fahren kann. Auf einem Stellplatz stehen einige Wohnmobile und am Seeufer sind etliche Übernachtungsplätze. Wir finden eine einladende Hütte an der ein leichter Wind geht und somit die lästigen Mücken sich einen anderen Rastplatz suchen. Beim Zubereiten der heutigen Mahlzeit entpuppt sich Jacek als geschickter Koch, der aus unseren Vorräten ein leckeres Abendessen zaubert. Lange sitzen wir am Feuer und teilen die Eindrücke und Gedanken des heutigen Tages. Als es dunkel wird, breite ich Isomatte und Schlafsack unter den hohen Kiefern direkt am See aus. Den paar Mücken, die noch nach mir sehen, wird es bald zu kalt und ich kann ungestört einschlafen.

 

Donnerstag

Früh am Morgen beginnt es leicht zu regnen. Da ich schon eine Weile wach bin, kann ich rechtzeitig meine Sachen in der Hütte verstauen und dort den Schauer abwarten. Ich genieße diese morgendliche Ruhe. Das Vogelgezwitscher und das Tröpfeln des Regens ergänzen die Schlafgeräusche meiner Mitwanderer. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich eine Blindschleiche in Ufernähe im See schwimmen. Nach dem Frühstück brechen wir auf und umrunden zuerst den See. Glücklicherweise ist es in diesem Sommer sehr trocken, so dass wir trockenen Fußes (und noch viel besser, mit trockenen Schuhen) die sumpfigen Seeränder auf Bohlenwegen überqueren können. Als wir dann in Richtung unseres heutigen Zieles aufbrechen, ist es schon sehr warm. Die Wasservorräte werden noch mal aufgefüllt und unter der Führung von Matthias geht es los. Wir wollen bis an die Ostseeküste und in Nävekvarn auf dem Campingplatz übernachten. Bei einer entspannenden Rast auf einem Felsrücken scheint uns die Mittagssonne ins Gesicht und wir sind guter Dinge. Bis Jacek uns auffordert, doch mal über unsere Schulter zu blicken. Krasser kann der Unterschied nicht sein. Wir blicken in einen drohend schwarzen Himmel. Die dicken Regenwolken wandern in die gleiche Richtung wie wir. Ruck zuck sind wir auf den Beinen und setzen unseren Weg fort. Nicht lange, und der Regen hat uns eingeholt. Zuerst hoffen wir noch unter den Bäumen den Schauer abwarten zu können. Meine Regensachen habe ich leichtsinnigerweise heute Morgen nicht eingepackt. Also nicht gemeckert, wenn ich jetzt zunehmend durchnässe. Selbst Schuld! Jacek und Matthias haben besser vorgesorgt. Wir beschließen, einfach weiter zu gehen, um möglichst schnell den rettenden Campingplatz zu erreichen. Als wir Nävekvarn erreichen, bin ich pitschnass, aber der Regen hat aufgehört und die Sonne lässt sich wieder blicken. Eine warme Dusche und ein Trockenschrank, in dem die nassen Sachen verschwinden, versöhnen mich mit meinem Missgeschick. Beim Zeltaufbau und der Zubereitung des Abendessens kann ich gut auf andere Gedanken kommen. Den Sonnenuntergang erleben wir direkt an der felsigen Ostseeküste. Unter beeindruckenden Wolkengebilden ziehen kleine Boote und große Frachtschiffe ihre Wellenbahnen durch das Wasser.

Um den heute sehr aktiven und lästigen Mücken auszuweichen verschwinden wir rechtzeitig in unseren Zelten.

 

Freitag

Bei sonnigem Sommerwetter brechen wir nach einem ausgiebigem Frühstück auf zur nächsten Etappe. Christian führt uns entlang der Küste ostwärts. Leichter Seewind von der Ostsee mischt sich mit dem Duft der Kiefern. Manchmal ist der Weg über die Felsen so steil, dass wir die vorhandenen Seile zur Unterstützung nutzen. Am frühen Nachmittag erreichen wir eine Badebucht bei Strömshult. Feiner Sandstrand, eine Feuerstelle, wenig Menschen – Idylle pur! Nach dem Abendessen sitzen wir noch lange am Feuer, bis uns die zunehmende Nachtkühle in die Schlafsäcke treibt.

  

Samstag

Die morgendliche Stille ist kühl. Der Tau hat Zelte und Gras mit feinen Tropfen überzogen. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Fleecejacke unters Kinn und laufe barfuß über den feuchten Sand. Die Einladung der Ostsee mag ich noch nicht hören. Aber je länger ich zaudere, desto verlockender erscheint mir das Meer. Das Bad in der kalten Ostsee ist kurz und erfrischend und nach dem Abtrocknen ist mir angenehm warm. Ich glaube nicht, dass ich jetzt dufte, aber eine gewisse Ostseefrische versprühe ich bestimmt. Ein schönes Gefühl, der Verlockung nachgegeben zu haben.

Unser heutiger Weg führt uns weiter an der Küste entlang. Wie gestern ist er auch heute reizvoll aber auch anstrengend. Die Felsen fordern meine ganze Aufmerksamkeit. Während wir in einem Unterstand rasten, beginnt es heftig zu regnen. Jacek und ich mutmaßen, dass es mit Matthias zu tun haben könnte, der heute unser Führer ist. Bisher hat es immer geregnet, wenn Matthias uns geführt hat. Sollte er eine besondere Verbindung nach oben haben? Matthias – the rainman. Heute kann ich aber gelassen bleiben. Ich habe gelernt und hole jetzt meine komplette Regenausrüstung hervor. Von mir kann es jetzt schütten! Bis zum heutigen Ziel am Melsjön hat es sich ausgeregnet. Wieder eine gute Schutzhütte direkt am See. Wir scheinen die einzigen Menschen in der Umgebung zu sein. Dafür leisten uns zahlreiche Mücken Gesellschaft. Einzig der Rauch unseres Feuers hält sie etwas auf Abstand. Im Toilettenhäuschen waren die Wespen schon lange vor uns und haben sich ein stattliches Nest gebaut. Wir ziehen es daher vor, in diesem Fall auf die sanitäre Einrichtung zu verzichten. Die Natur bietet hier vielfältige und ungefährlichere Möglichkeiten. Nachts kommt erstmals mein Mückennetz zum Einsatz. Ohne diese Hilfsmittel hätten mich die Plagegeister nicht zur Ruhe kommen lassen.

 

Sonntag

Heute führt Christian uns bei strahlendem Sommerwetter über den Kummelberget und Tunaberg bis nach Skyrshyttan. Der Kummelberget ist eine beeindruckende Felsformation, von der aus wir, sind wir erst mal oben angekommen, einen herrlichen Blick in das Umland werfen können. Beim Abstieg beobachten wir an der  Südostseite der Felsen zwei Kletterer auf ihrem steilen Weg nach oben. In Tunaberg, einer alten Bergwerkssiedlung mit einer sehenswerten Holzkirche, rasten wir ausgiebig. An unserem heutigen Etappenziel bei Skyrshyttan machen wir vom schwedischen Jedermannsrecht Gebrauch. An einer Zufahrt zu einer Lichtung schlagen wir die Zelte auf. Heute gibt es keinen Komfort in Form einer Hütte, eines Plumpsklos oder einer Feuerstelle.

 

Montag

Der letzte Tag unserer Wanderung ist angebrochen. Der Abbau der Zelte und das Verstauen unserer Ausrüstung ist inzwischen zur vertrauten Routine geworden. Unter Matthias‘ Führung brechen wir auf. Noch einmal genieße ich die schwedische Natur. Das Wetter bleibt, trotz unserer Befürchtung trocken und sonnig. Heute will Matthias wahrscheinlich beweisen, dass die letzten Regentage mit ihm reiner Zufall waren. Das Ziel und der Schlusspunkt der Wanderung ist ein Übernachtungsplatz in der Nähe von Nyköpings Golfplatz. Etwa 90 km haben wir in letzten Woche zurück gelegt. Zwei Hütten und reichlich Tische und Bänke, sowie zwei Feuerstellen stehen uns zur Verfügung. Bevor wir uns aus dem Wald in die Zivilisation zurück wagen, wollen wir uns noch stadtfein machen. Entgegen meiner Befürchtung sind wir auf dem Golfplatz willkommen und dürfen die dortigen Duschen benutzen. Etwas fremd scheinen wir jedoch auf einige der feinen Golferinnen zu wirken. Unser Weg zu den Herrenduschen wird mit kritischen Blicken begleitet. Frisch gewaschen machen wir uns anschließend auf den Weg in die Fußgängerzone Nyköpings und tauchen in eine ein wenig fremd gewordene Welt ein.

Am letzten Abend genießen wir das erste Bier seit einer Woche. „Swedish Elk Brew“ ein Starköl der Klasse III. Das Abendessen neutralisiert die Wirkung des ungewohnten Alkohols und wir sind fit, einen entspannten letzten Abend in Schweden zu genießen.

 

Dienstag

Am Flughafen Stockholm-Skvasta verabschieden Jacek und ich uns von Christian und Matthias. Die beiden werden mit dem Auto zurück fahren.

 

Eine spannende Auszeit mit vielen Eindrücken und Einsichten ist zu Ende. Die Vorfreude auf ein nächstes Mal ist schon da.

Juli 2016


Abendstimmung auf dem Brocken

 

Den mit 1142 Metern höchsten Berg Norddeutschlands bevölkern täglich tausende von Besuchern. Wie die Spitze eines Ameisenberges mutet das Brockenplateau an, wenn die Brockenbahn nach schnaufender Fahrt die Reisenden aus den Waggons entlässt.

 

Wir wollten dem eigentlichen Zauber dieses Berges, auf dem Hexen und Teufel ihr Unwesen treiben sollen, jedoch abseits des üblichen Trubels nachspüren.

Deshalb machten wir uns am vergangenen Samstag erst um 16:00 Uhr vom Waldhotel Am Ilsestein aus auf den Weg. Auf dem Heinrich-Heine-Weg zuerst entlang der Ilse immer bergan. Es war angenehm, überwiegend im Schatten gehen zu können. Die Temperaturen waren sommerlich und wie vom Wetterbericht versprochen schien die Sonne an den wenigen Wolken vorbei.  Bei den Herrmannsklippen biegen wir auf den Hirtenstieg, der ein Teil des Grenzweges ist, ab. Auf dem alten Postenweg mit seinen Betonplatten wird es teilweise noch ein bisschen steiler.

„Und ich glaube, auch Mephisto muss mit Mühe Atem holen, wenn er seinen Lieblingsberg ersteigt.“  (Heinrich Heine)

Uns ging es ähnlich, angesichts der teilweise doch recht knackigen Steigung. Motivierend war der Blick zurück über den Eckerstausee ins Harzer Vorland. Wir hatten einen der wenigen Tage mit einer phantastischen Fernsicht erwischt. Deshalb konnten wir auch schon frühzeitig die Gebäude auf dem Brockenplateau erkennen und ließen uns von ihnen Schritt für Schritt auf den Gipfel ziehen.

Und wie erhofft, waren nur wenige Menschen auf dem Berg. Die Rundumsicht war beeindruckend und eine erstaunliche Stille herrschte. Das Schnaufen der letzten Brockenbahn des Tages war das lauteste Geräusch. Hexen und Teufel haben wir nicht angetroffen, nur freundliche Menschen. Ein perfekter Augenblick. Uns fiel auf, wie viel junge Menschen ebenso wie wir unterwegs waren. Wandern scheint also doch nicht nur etwas für die „Alten“ zu sein. Schön!

Etwas irritierend fanden wir, dass einige neugierige Füchse in der Nähe der Gleise mit Würstchen gefüttert wurden. Kein Wunder, dass sie wenig Scheu vor uns hatten. Ein artgerechter Umgang mit Wildtieren sieht aber wohl anders aus.

Der Rückweg ging zuerst auf der der breiten Fahrstraße in Richtung Schierke. Am Brockenbett bogen wir links in Richtung Verdeckte Ilse ab. Die Dämmerung setzte langsam ein. Bis hinunter zu unserem Ausgangspunkt waren wir nun allein unterwegs. Begleitet vom Rauschen der Ilse, einem vielfältigen Vogelgezwitscher und dem knirschen der Steine unter unseren Schuhen. Um kurz nach 21 Uhr waren wir wieder am Auto. Wie so oft, haben sich die Anstrengungen des Weges gelohnt. (Kartenübersicht)

Juli 2016 


Löcher in der Luft

 

 

Ich sitze mit meinem Enkel auf dem Sofa. Das Spiel mit den Siku Treckern ist für heute ausgespielt. Die Gülle auf dem Phantasieacker ausgebracht und die Baumstämme sind abtransportiert und auf dem Bauernhof eingelagert. Eine Runde mit dem Hund haben wir auch schon hinter uns. Verlockendes Gartenwetter ist nicht.

In Opa’s Ideenkiste herrscht augenblicklich bedenkliche Leere. Als Animateur bin ich heute keine große Leuchte. Die gefürchtete Langeweile hat uns erwischt.

 

„Opa, was machen wir jetzt?“ „Tja, ich weiß auch nicht so recht.“ „Mir ist langweilig, Opa!“

 

Eine „Enkelbeschäftigungsliste“ sollte ich jetzt haben und einen Vorschlag nach dem Anderen aufzählen und hoffen, dass ich irgendwann bei meinem Enkel einen Treffer lande.

 

Ich entscheide mich aber anders. Lege den Kopf leicht in den Nacken und blicke aus dem Fenster. Mit energischer Ungeduld werde ich am Ärmel gezupft: „Opa, was machen wir denn jetzt mal?!“ „Ich gucke gerade Löcher in die Luft.“ „Hm??? Das geht doch gar nicht!“ „Versuch’s doch auch mal. Lehn dich an und sieh in den Himmel. Manchmal finde ich auch nix in dem Luftloch. Meistens jedoch kommt mir ein Gedanke. Etwas, woran ich schon lange nicht mehr gedacht habe. Und dann sehe ich durch das Luftloch das, worauf ich jetzt Lust habe.“ Und während ich mich noch den kritischen Fragen meines Enkels über den Wahrheitsgehalt von Luftlöchern stelle, ist unsere Langeweile längst verflogen und uns ein toller Gedanke für den weiteren Verlauf des Nachmittags gekommen.

April 2016


Genuss

 

An Tagen wie diesen bin ich besonders dankbar für die Möglichkeit, spontan über meine Zeit entscheiden zu können. Ein sonniger Frühlingstag und das nahe Naturschutzgebiet „Osterberg und Lange Dreisch“ laden mich zu einem genussvollen Spaziergang ein. So dicht an der Stadt und doch sind außer mir nur wenige Menschen unterwegs. Alte Kirschbäume stehen bereits in voller Blüte, andere Bäume und Büsche zeigen schon Blätter in den unterschiedlichsten Grüntönen,  während anderswo die Knospen auf die nächsten warmen Tage warten.

April 2016

 


Eine erste Fahrradrunde

 

Das Wetter lud zu einer ersten etwas längeren Runde mit dem Mountainbike ein. Ein kleiner Bogen über den Tosmarberg nach Diekholzen und über die Barienröder Schweiz zurück. Meine Oberschenkel spüren die lange Winterpause.

April 2016


Winterspaziergang

 

Endlich ist das Schmuddelwetter vorbei. Eine verschneite Landschaft lässt keine Entschuldigungen und Ausreden mehr zu. Kein “eigentlich“ oder „müsste“ gelten heute. Nachdem ich in den vergangenen Wochen mit den Büchern von Udo Schroeter –„Bin am Meer“ und „Endlich wieder am Meer“ an einem anderen Ort und einer anderen Welt unterwegs war und nachdem ich den Autor in den letzten Tagen anlässlich einer Lesung in Ameis Buchecke und einem Studientag in Hannover erleben konnte, hatte sich ausreichend Energie für eine Unternehmung angestaut.

 

Warm angezogen, einen heissen Tee eigepackt, den Fotoapparat dabei und den Hund an der langen Leine ging es auf in den Knebelberg und den Ilsenberg fast bis an die Raststätte Hildesheimer Börde. Auf dem Hinweg immer etwas unterhalb des Kammes, so dass der Lärm der Autobahn mich nicht erreichte. Mona war aufmerksam dabei. Die Schneekristalle verstärkten die vielfältigen Düfte des Waldbodens und wäre die Leine nicht gewesen, hätte sie mit Begeisterung jede Fährte durch den Schnee verfolgt. Teilweise war vor uns noch niemand unterwegs gewesen. Wir konnten eine (heute) unberührte Natur genießen. Auf dem Rückweg waren wir schon nicht mehr so allein unterwegs. Das Winterwetter hatte nicht nur uns nach draußen gelockt. Nach vier Stunden waren wir mit frischen winterlichen Eindrücken wieder zu Hause und haben mit einem guten Gefühl die Beine hochgelegt.

Januar 2016